Alles, was es nicht zum Text geschafft hat, am Rande steht, aber dennoch Erwähnung verdient – Marginalien eben. In Tagebuchform, zum neuesten Eintrag geht es hier entlang:
07.02.2020 / 13:36
Dass sich Bürgerliche lieber von Nazis ins Amt hieven lassen als einen Linken in der Regierung zu bestätigen, ist kaum überraschend. Antidemokratische Handreichungen dieser Art haben ihre schlechte Tradition, nicht nur in Deutschland. Auch nicht überraschend ist der Aufschrei der ritualisiert Empörten; er ist zentraler Bestandteil des in Gang gesetzten Gewöhnungswerks. Bald schon werden die Maulhelden der Demokratie mit ihm ihre Schuldigkeit als getan ansehen. Ein paar Jahre noch und sie werden Koalitionen eingehen. Die begleitenden Phrasen liegen ihnen längst auf der Zunge: Als Demokrat müsse man kompromissfähig sein; man wolle nur mit den vernünftigen Kräften innerhalb der AfD zusammenarbeiten; pauschale Verteufelungen brächten niemanden weiter usw. usf.
08.02.2020 / 00:17
Alexandre Dumas, von einem Rassisten wegen seiner Abstammung von Schwarzen angegangen: „Ja, in mir fließt schwarzes Blut. Mein Vater war Mulatte, mein Großvater ein Neger und mein Urgroßvater ein Affe. Unsere beiden Familien sind also gleicher Abstammung. Nur dass bei ihnen der Stammbaum in die umgekehrte Richtung weist.“ (zitiert nach: Danilo Scholz, Ins Bild gerückt. Zur Geschichte des französischen Kolonialismus, in: Merkur 11/2019, S. 29)
09.02.2020 / 18:37
Im SPIEGEL ein Artikel über eine depressive Sportlerin: Die Nackenschläge werden aneinandergereiht; der Moment, ab dem es richtig bergab geht, wird wie folgt beschrieben: „Mittermüller – Einser-Abitur, IQ von 136 – verliert den Halt.“ Man merke, was beim SPIEGEL als Immunisierung gegen psychische Erkrankungen durchgeht: Hochschulüberreife und ein hoher Intelligenzquotient. Vielleicht ist das Gegenteil näher an der Wahrheit.
12.02.2020 / 21:04
Interview in der ZEIT mit Marco Sinervo, Kopf einer Modelagentur. Das gesamte Gespräch ist eine einzige Zumutung; an kritischen Nachfragen: ein bisschen was zu Magersucht, ansonsten: nichts! Nichts über das totale Zur-Ware-Werden junger Menschen, über ihre Verwandlung in ein Produkt, an dem einzig die Verpackung interessiert; stattdessen das kaum erträgliche Lamento des Interviewten: Instagram sei undank, halte sich heute jeder für ein Model. Und, schlimmer noch, den Deutschen fehle leider der Biss. Der Wille, das Leben als wandelnder Kleiderständer zu verschwenden, scheint hierzulande nicht sehr ausgeprägt. Herr Sinervo, der seines in Oberflächlichkeit und Nichtigkeit längst vertan hat, schlussfolgert: „Es gibt gute Mädchen, die viel mehr aus sich machen könnten – aber unser ganzer Wohlstand steht uns im Weg.“ Ja, wo sind Elend, Hunger und Krieg, wenn der Kleiderstangen-Kapitalist sie brauchen kann? Wo ist das Land, nicht das, in dem die Zitronen blühen, sondern das, in dem der Biss buchstäblich verstanden werden muss – aufs fehlende Brot sich beziehend. Zum Glück, weiß Herr Sinervo, schaffen Russland und Südamerika Abilfe. Auf wie vielen Modeschauen muss man gewesen sein, um so zu sprechen? Wie lange muss man in der Wirtschaftsredaktion der ZEIT gearbeitet haben, um derartiges Gerede einfach hinzunehmen?
01.03.2020 / 15:32
Der eigentliche Jammer an „Hurensohn“-Beleidigungen, Fadenkreuz-Plakaten und Kollektivstrafen ist, dass all dies dem Zustandekommen einer Debatte weiter schadet, der sich DFB, UEFA, FIFA und Co ohnehin seit langem verweigern (stattdessen einfach stillschweigend Fakten schaffen): Soll der Fußball vollkommen in die Hände von Milliardären und Großkonzernen fallen, die im Sinne ihrer Investition schalten und walten können, wie es ihnen beliebt? Oder sollen die Klubs tatsächlich Fußballvereine bleiben, in denen die Mitglieder noch ein Mitspracherecht haben? Will man die Vollendung englischer Zustände – keine organisierte Fanszene, keine Stimmung, Mondpreise für den Stadionbesuch, Pokalauslosungen in Fernost, selbstgerechte Autokraten an der Vereinsspitze (Bsp. Mancity), das Spiel als Event für ein Publikum, das – wenn die Mode wechselt – weiterziehen wird, die Spieler als Söldner, deren Loyalität allein dem Gehaltszettel gilt? Fest steht: Die konzertierten Aktionen von diesem Wochenende werden allein den Funktionären in die Hände spielen. Sie werden die Schmähungen gegen Dietmar Hopp instrumentalisieren, um im Namen von Menschenwürde und guter Sitte die Kommerzialisierung weiter voranzutreiben. Und auch wer sich ohne zu beleidigen gegen diese Entwicklung stellt, wird von ihnen zu den Unmenschen gezählt werden. Bezeichnend auch: Die wiederholten rassistischen Beleidigungen der vergangenen Wochen haben nicht zu einer einzigen Spielunterbrechung geführt. Die Interessen des Geldes zu verteidigen, ist dem DFB augenscheinlich wichtiger als der Schutz von Minderheiten.
09.03.2020 / 20:06
Nachdem die EU in den vergangenen Jahren ihre vorgeblichen Werte vor allem passiv verriet, indem man den Flüchtlingen beim Ertrinken zusah, darf man nun ganz offen, mit der Waffe in der Hand, menschenfeindlich sein. Wer bisher Ursula von der Leyens Eignung für den Job an der Kommissionsspitze anzweifelte, wird jetzt eines Besseren belehrt: Einen zackigen Militärjargon hat sie aus dem Bendlerblock nach Brüssel herübergerettet (heilloses Chaos ließ sie zurück) – Griechenland sei der „Schutzschild“ Europas gegen die Migranten. Man merke: Grenzen sind einfach leichter zu verteidigen als Menschenrechte. Ergebnis dieser Politik wird sein, dass man sich der Einsicht in die Fluchtursachen in Zukunft noch hartnäckiger verweigern kann als man es in der Vergangenheit ohnehin bereits getan hat. Wo ist eigentlich der Schutzschild gegen die Ursula von der Leyens dieser Welt? Gegen politische Kurzsichtigkeit, Zynismus und Menschenverachtung?
12.03.2020 / 19:57
„Sehr früh stieg ich mit César durch den Urwald zur höchsten Stelle zwischen den Flüssen, zur Plattform hinauf, und auf halbem Weg hörten wir ein Flugzeug über uns, das wir nicht einordnen konnten. Ich erschrak wieder, wie steil es war, wie dort jemals ein Schiff hinüberzuwuchten sei. (…) Einen Holzfäller, der um Arbeit nachsuchte, fragte man, wo er zuletzt gearbeitet habe? In der Sahara versetzte dieser. Aber dort gäbe es ja gar keine Bäume. Jetzt nicht mehr, sagte der Holzfäller.“ (Werner Herzog, Eroberung des Nutzlosen)
14.03.2020 / 19:23
„Mit hermeneutischem Wohlwollen sollte man in der Politik nicht rechnen“, so steht’s in der ZEIT in einem Text über die Linkspartei; ‚dieser Tage‘, möchte man hinzufügen. Es geht um eine Strategiekonferenz der Linken, ein Mitglied redete vom Erschießen der Millionäre; Bernd Riexinger fiel darauf ein, nicht erschießen werde man die Reichen, sondern sie einer nützlichen Arbeit zuführen. Alles launig gemeint, irgendwie mit Augenzwinkern. Nur, wo ist der Unterschied zum Denkmal der Schande (Höcke), zum Waffeneinsatz gegen Flüchtlinge an der Grenze (Petry, lang ist’s her), zum Vogelschiss der Geschichte oder dem Entsorgen von Menschen in Anatolien (Gauland, der Gutbürgerliche)? Das alles soll ja hinterher auch oftmals nicht so gemeint gewesen sein, wie es gesagt wurde. Ist Gewalt gegen Arme und Hilflose schlimmer als die gegen Reiche und Wehrhafte? Von links würde sicherlich eine Art Notwehr angeführt werden, die bloße Reaktion auf eine irgendwie strukturelle Gewalt. Wie dem auch sei, interessanter ist hier ohnehin das fehlende hermeneutische Wohlwollen, an dessen Verschwinden natürlich ein Organ wie die ZEIT kräftig mitwerkelt. Es gibt nur mehr Wortwörtliches, keinen Bedeutungshof mehr um die Wörter, keine Doppel- oder Mehrdeutigkeit. Gerade Parteichefinnen können ein (Klage)Lied hiervon singen: Auch durch flapsige Sprüche (Nahles) oder unwitzige Witze (AKK) kann heutzutage ein Amt verloren werden. Wenn nicht die Medien der Rigorosität ihr (Un)Recht verschaffen, dann sind sicherlich die Parteifreunde zur Stelle. Der Fetisch aufs Buchstäbliche ist eigentlich in anderen Staaatsformen, nicht in der Demokratie, zuhause. Exemplarisch hierfür eine Stalin-Episode aus einem Buch Milan Kunderas (hier schon einmal angeführt): Der Diktator sitzt in Gesellschaft bei Tisch, erzählt von der Jagd, wie er zwei Dutzend Vögel vor dem Lauf, jedoch nicht ausreichend Munition dabei hatte. Da verschießt er die Patronen, die er bei sich trägt, stiefelt kilometerweit zu seiner Hütte zurück, um Nachschub zu holen und macht sich wieder auf den Rückweg. Der Rest des lieben Federviehs hatte auf ihn gewartet, und er erlegt es. Keiner lacht. Das mit der Ironie hatte man irgendwann verlernt. Oder – in Russland kann man bleiben – das Schicksal einer Gruppe von Soldaten aus dem 19. Jahrhundert, wiedergegeben in Jurij Lotmans Kulturgeschichte des russischen Adels: Man trifft sich zum Saufgelage in einem Restaurant. Die Heiterkeit gipfelt im Versuch, eine Büste des Zaren mit Suppe zu füttern. Für die Obrigkeit kann dies kein Jux sein, kein Spiel mit Bedeutungen, sondern einzig bitterer Ernst. Den Jünglingen trug es Strafversetzungen in den weiten russischen Osten ein. Egal also, ob die diktatorische Herrschaft selber einen Scherz macht oder dessen Opfer wird: Es geht nicht! Selbst der dumme Witz darf nicht einfach dumm sein. Und der treffende darf schon einmal gar nicht treffen.