Das politische Portrait steht und fällt mit der Person, der es sich zuwendet. Wo es Pläne und Inszenierungen zu enthüllen, Weltanschauungen zu entknoten gibt, lohnt der genaue Blick; der Text kann gelingen. So wie etwa bei George Packer, der vor einigen Jahren ein großartiges Stück über die Kanzlerin für den „New Yorker“ geschrieben hat. Über die Person Angela Merkels entdeckte Packer den politischen Tiefschlaf eines ganzen Landes. Oder Henning Sußebach, der für die ZEIT Markus Söder begleitete und einen geltungssüchtigen Überehrgeizling kennenlernte, dem für den Weg nach oben keine Inszenierung zu gewagt ist. Es ist wenig überraschend, dass solche Texte über den derzeitigen amerikanischen Präsidenten nicht existieren.
Bei Donald Trump gibt es nichts, dem man auf die Spur kommen müsste, nichts, das es zu enthüllen oder zu entknoten gäbe. Es ist alles da, im hellsten Scheinwerferlicht. Es existieren keine weitreichenden Pläne, die Trump verfolgt, keine kohärente Weltanschauung, die sich über Jahrzehnte geformt und gefestigt hätte und die nachzuzeichnen sich lohnen würde. Kurzum, Dummheit muss nicht entlarvt werden, sie präsentiert sich – und meint dabei doch stets ihr Gegenteil zu sein. Jede Rede Trumps, jeder von ihm abgesetzte Tweet, jede Widersprüchlichkeit auf ganz gedrängtem Raum, jede seiner plumpen Lügen legt hiervon Zeugnis ab. Der Präsident schadet der Demokratie aus Egomanie, nicht aufgrund komplexer antidemokratischer Gedanken. Wollte er die Institutionen planvoll delegitimieren, er müsste sie zuerst verstehen. Trump jedoch ist vollkommen ahnungslos (und noch hinsichtlich seiner Ahnungslosigkeit ist er ahnungslos). Er ist, in all seinem Handeln, mehr Trampeltier als Taktiker. Es ist wohl bereits zu viel der Ehre, ihn einen Rassisten oder Sexisten zu nennen. Trump ist schlichtweg ein Simpel, der – in Momenten, in denen er den Eindruck hat, es könnte seinem Fortkommen, seiner Größe, seinem Auftritt nutzen – auch rassistische und frauenverachtende Dinge von sich gibt. Ob ihn dies nun gefährlicher macht als etwa den ‚kernigen‘ Rassisten, der sich in genauer Kenntnis eines fremdenfeindlichen Überbaus aus Vergangenheit und Gegenwart in Ausländerhetze übt, wird sich wohl erst noch erweisen müssen.
Enthüllungen, die nichts enthüllen
Was dem Journalismus in dieser Situation bleibt, ist die Dokumentation von Trumps Trotteleien, der tiefe Blick muss ausbleiben, weil es überhaupt keine Tiefe zu entdecken gibt (weshalb im Übrigen auch von diesem Text nicht allzu viel erwartet werden sollte). Aus diesem Grund verdienen auch die mit viel Bohei angekündigten, in Länge besprochenen, sogenannten Enthüllungsbücher – etwa Michael Wolffs „Feuer und Zorn“ oder Bob Woodwards „Furcht“ – ihren Namen nicht. Wer auch nur ein My Phantasie aufzubringen imstande ist, für den fügen diese Texte nichts Neues hinzu, sondern bestätigen nur Bekanntes: Das Weiße Haus ist mal Irrenanstalt, dann wieder Kindergarten, der erste Mann im Staate ein egozentrischer Einfaltspinsel. Trump soll abends regelmäßig, Pommes frites und Hamburger mampfend, im Bett liegen und auf mehreren Bildschirmen ausgerechnet die von ihm öffentlich mit so viel Verachtung bedachten Nachrichtensender verfolgen. Natürlich tut er das, wie sonst könnte er minutenaktuell zum jeweiligen Fernsehprogramm eben jene Verachtung in die Welt hinaustwittern. Mitarbeiter sollen von Zeit zu Zeit unterschriftsreife Dokumente von Trumps Schreibtisch entfernen. Wie sonst ist mit einem unzurechnungsfähigen Zeichnungsbefugten umzugehen?! Der eigene Stabschef soll in kleiner Runde seinem Chef attestiert haben, ein Idiot zu sein. Nun, wer einmal eine Rede Trumps oder eine seiner Pressekonferenzen in voller Länge ertragen hat, der dürfte über diese ‚Neuigkeit‘ im Bilde gewesen sein, lange bevor sie ‚enthüllt‘ wurde.
Den Reportern stellt sich im Falle Trumps ein Problem, das seinem Muster nach jedem Kunst- oder Medienkritiker bekannt sein dürfte. Über ein kluges Buch, eine intelligente Fernsehserie lässt sich eine intelligente Kritik verfassen. Der Kritiker schreibt das Kunstwerk gewissermaßen fort. Fällt hingegen der Gegenstand der Kritik qualitativ ab, so bleibt im Extrem nur der Verriss, der gewöhnlich mehr über den Verreißenden als über das Verrissene verrät. Da das Besprochene nichts hergibt, muss der Text mit Eigenem ‚gerettet‘ werden. Ein Beispiel: Anja Rützel schreibt seit Jahren für SPIEGEL Online über die Niederungen des Fernsehprogramms. Da die Adjektivitis der Autorin sie in der Regel zu treffenden Bildern greifen lässt, sind die Texte durchaus unterhaltsam. Derart werden sie auch aufgenommen: In den Kommentarspalten finden sich viele Dankesbekundungen, man habe zwar seinen Samstagabend einmal mehr mit dem besprochenen Müll im TV verschwendet, die köstliche Kritik entschädige einen nun aber für das tags zuvor Erlittene. Hierin deutet sich zugleich das größte Problem der Texte an. Sie vermögen lediglich in blumig-sarkastisch-bissiger Sprache das Offensichtliche zu verkünden: Auch die 20. Staffeln vom „Bachelor“ und „Germany’s Next Topmodel“ sind frauenverachtend, auch in der 30. von „Deutschland sucht den Superstar“ werden dutzendweise junge Menschen vorgeführt. Das freizulegen, ist so simpel wie der Nachweis von Trumps limitierten Geistesfähigkeiten. Und dennoch wird eben dieser Nachweis wieder und wieder und immer wieder geführt. In beiden Fällen scheinen die Medien wie ein Perpetuum mobile der identifizierten Dummheit zu funktionieren: Es wird etwas angesehen, über das man sein Urteil bereits gefällt hat, um dann eine Kritik zu lesen, die einem unterhaltsam dieses Urteil bestätigt, womit man sodann, im eigenen Hochmut gestärkt, sich dem nächsten offensichtlichen Unsinn zuwendet.
Mit dieser Diagnose ist man zugleich bei der Frage angekommen, wie sehr jemand wie Frau Rützel überhaupt praktische Konsequenzen aus der eigenen Schreiberei wünschen kann? Wie sehr kann sie wollen, dass der Schund, dessen Besprechung ihr Beruf ist, tatsächlich verschwindet? Analog hierzu: Wie sehr können Magazine, Zeitungen und Verlage Trumps Verschwinden wünschen? Fakt ist, dass sich die Berichte aus dem Washingtoner Irrenhaus verkaufen wie verrückt; auch Rützels Artikel gehören auf SPIEGEL Online regelmäßig zu den meistgeklickten. Das Perpetuum mobile ist am Ende womöglich gar keines. Sein Antrieb heißt Profit.
Trump – ein Babbitt?
Letztlich könnte man sich in den Redaktionsstuben wohl auch die Dokumentation des Trump‘schen Irrlichtern sparen. Denn als Typus hat ihn bereits vor knapp einhundert Jahren Sinclair Lewis mit seiner Romanfigur des George (‚Georgie‘) Babbitt erfasst. Im Spießer des amerikanischen Mittelstandes sind – trotz des Unterschieds im Kontostand – sehr viele Züge des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten anzutreffen: die Huldigung des Dollars als einzigen Lebensmaßstab, die himmelschreiende Unwissenheit (bei gleichzeitiger Überzeugung, nahezu allwissend zu sein), die Borniertheit, der Hochmut gegenüber sozial Schwächeren, ja die Verachtung von Bedürftigkeit (sofern sie nicht für die eigene – vermeintliche – Großzügigkeit instrumentalisiert werden kann), das Sonnen in der Macht, das Angewiesen-Sein auf Anerkennung, die Selbstherrlichkeit, der peinliche Lobgesang auf die eigene Person usw. Es ist alles da, kann deshalb mit Trump verschmelzen, fügt allerdings dem Bild von ihm nichts Neues hinzu. Es ist also auch diese Analogie nicht mehr als eine unterhaltsame Spielerei, die sich an dieser Stelle mit drei besonders prägnanten Beispielen begnügen soll.
Wenn Babbitt in einer seiner Reden als lokaler Wahlhelfer der Republikanischen Partei vom Journalismus fordert, dieser müsse, als Gehaltsempfänger der mächtigen Macher in Politik und Wirtschaft, diesen „zur Seite stehen und Tüchtigkeit und rationellen Fortschritt predigen“ (Sinclair Lewis, Babbitt, Reinbek 1988, S. 247), so spiegelt dies exakt Trumps Verhältnis zu CNN und Co. wider: Wer sein schiefes Lied nicht singt, wer mit ihm nicht übereinstimmt, muss entweder ein Idiot oder ein Lügner sein. An anderer Stelle wird ein Reporter in Babbitts Gesellschaftsklub mit den Worten vorgestellt, ein „brandrote[s] Subjekt der gefälschten Nachrichten“ (ebd., S. 338) zu sein – Fake News avant la lettre, wenn man so möchte. Babbitt selber hingegen darf sich und die Welt – wie Trump – so lange beschwindeln, bis ihm die Lüge zur eigenen Wahrheit geworden ist. So heißt es über einen Bordell-Besuch: „Babbitts Seitensprung kam seiner Familie nie zu Ohren; (…) Nicht einmal er selbst gestand ihn sich offiziell zu.“ (ebd., S. 231) Hätte man ‚Georgie‘ mit seinen Abenteuern im Freudenhaus konfrontiert, so hätte er diese im Namen der ehelichen Moral ganz überzeugt abgestritten (vgl. u.a. ebd., S. 330; er wird seine Frau noch einige Male hintergehen) – und ähnlich überzeugt ist wahrscheinlich auch Trump, dass er seine Angetraute, daheim sitzend mit Säugling, nicht mit einem Pornosternchen betrogen hat. Wahr ist für beide, was sie der Wahrheit zugestehen. Und zugestanden wird der Wahrheit nur, was einen selber scheinen und profitieren lässt.
Das macht auch eine Passage überdeutlich, in der Babbitts Kreise sich der gesellschaftlichen Rolle der Schwarzen zuwenden: „Na, ich zum Beispiel, ich habe kein Tüttelchen Vorurteil gegen andere Rassen. Ich bin der erste, der sich freut, wenn ein Neger es zu etwas bringt – aber nur solange er dort bleibt, wo er hingehört, und nicht versucht, die rechtmäßige Autorität und die geschäftlichen Möglichkeiten des weißen Mannes an sich zu reißen.“ (ebd., S. 189) Auch in diesem Fall ist es verfehlt, anzunehmen, hier spräche ein tief überzeugter Rassist. Das ist nicht der Sklavenhalter des 19. Jahrhunderts, der hier zu Wort kommt, sondern ein ganz pragmatischer Rassismus. Der Schwarze wird zuvorderst als wirtschaftlicher Konkurrent abgelehnt; er soll arm bleiben, damit man weiter auf ihn herabsehen kann. Babbitt verachtet zuvorderst – wiederum: wie Trump – die wirtschaftlich Schwachen, die Hautfarbe ist für ihn sekundär. Diese Art von Rassismus haftet ganz unmittelbar am gesellschaftlichen Unterbau, stammt nicht aus den luftigen Sphären eines weitgehend verselbstständigten Überbaus. Folglich kann er sich, sofern die ökonomischen Verhältnisse sich ändern, auch rasch verflüchtigen. Gäbe es einen vermögenden Schwarzen in Zenith (die Stadt, in der Babbitt lebt), dessen Bekanntschaft Babbitt wirtschaftlich voranbrächte, er würde ihn umschmeicheln – und dabei wie selbstverständlich das Loblied der Diversität flöten, so wie zuvor die Melodie der Rassisten. Kapitalistische Wirtschaftsweise ist nicht per se fremdenfeindlich, noch ist sie per se bunt. Sie ist in dieser Hinsicht (wie in vielerlei anderer) mal das eine, dann wieder das andere – je nach dem, was gerade den Dollar mehrt.
Was tun?
Babbitt und Trump folgen den Ausschlägen des Unterbaus, sie sind ursächlich für ihre Widersprüchlichkeiten und Lügen, die ihnen selber gar nicht als solche erscheinen. Deshalb berührt sie keinerlei Enthüllung; kein Ertappt-Werden beim Lügen wird zu einer Veränderung ihres Verhaltens führen (wobei Babbitt im Laufe des Romans Ungewissheit befällt, was ihn ortlos werden lässt. Trump hingegen wird von Zweifeln nicht berührt). Dieses Urteil gilt, wenngleich aus anderen Gründen, auch für die Anhänger des Präsidenten. Alle Bücher und Artikel, alle akribischen Faktensammlungen und Kommentare hinterlassen bei denjenigen, die Trump gewählt haben, wenig bis gar keinen Eindruck. Das macht diese Arbeit ganz bestimmt nicht überflüssig, doch offenbart es, dass bei ihr nicht innegehalten werden darf. Mit Trump-Anhängern umzugehen, dürfte sich ähnlich gestalten wie der Kontakt zu Verschwörungstheoretikern. Alle Fakten, die letzteren präsentiert werden – aus welch berufenen Mündern auch immer –, werden ihren Überbringer nur als Mitverschwörer (oder als nützlichen Idioten der Mächtigen) entlarven. Mit jeder Tatsache wächst im Auge des Verschwörungstheoretikers die Verschwörung. Die in Eigenregie zusammengezimmerte Schimäre wirkt wie ein Schwarzes Loch, das alles, was ihm zu nahe kommt, verschlingt. Im Amerika der Gegenwart ist dieses Schwarze Loch die Wut auf den Mikrokosmos politischer, wirtschaftlicher und kultureller Zirkel an West- und Ostküste. Die teils sehr berechtigte Ablehnung der Bewohner des ‚Heartlands‘ gegen diese Kreise lässt auch die fünfhundertste Lüge Trumps als Nichtigkeit erscheinen.
Dem Trump-Anhänger geht es – auch in dieser Hinsicht ist er dem Verschwörungstheoretiker ähnlich – darum, der eigenen Person Geltung zu verschaffen. Wähnt sich der eine im Besitz einer exklusiven Wahrheit, die ihn vom ignoranten Rest abhebt, so verschafft sich der andere Aufmerksamkeit durch die größtmögliche Brüskierung jener Menschen, die sie oder er zum Establishment zählt. In diesem Motiv ist zugleich ein Lösungsansatz verborgen: Wer den Verschwörungstheoretiker erreichen will, muss sich mit dem Verschwörungstheoretiker, mit seiner Biografie und seinen Lebensumständen auseinandersetzen, nicht mir der Verschwörung. Ergo, wer den Trump-Anhänger überzeugen will, muss sich mit dem Trump-Anhänger auseinandersetzen, nicht mit Trump. Das bleibt aus. Stattdessen wird auf der Jagd nach Klicks und Werbeerlösen, mit einer Mischung aus Ekel und Faszination, lieber auf das selbst erschaffene Monstrum gestarrt. Keine Dummheit, die nicht einen Artikel verdient, kein Tweet, der nicht tagelang besprochen wird, keine neue Frauen-, Behinderten- oder Ausländerverachtung, der nicht in einer Kommentarflut ihre Offensichtlichkeit (eben, dass sie frauen-, behinderten- oder ausländerverachtend ist) nachgewiesen wird.
Der Tag, an dem die Journalisten Trump als denjenigen behandeln, als den sie ihn längst identifiziert haben – nämlich als Kleingeist, der sich in seiner eigenen Welt zum Riesen lügt – steht noch aus. Es würde bedeuten, sich nicht weiter als Verstärker des Wahnsinns im Weißen Haus herzugeben, Trump den Rücken zu kehren. Wer die Persönlichkeit des Präsidenten auch nur ein klein wenig erfasst hat, der weiß, dass für Trump eine solche Nichtbeachtung unter allen erdenklichen Maßnahmen die schlimmste wäre.