Es scheint eine Metonymie die Personalabteilungen vieler Unternehmen zu regieren: „Wir brauchen neue Köpfe!“ Während der Ruf noch durch die sterilen, vollverglasten Konferenzräume hallt, ist der Headhunter bereits aktiv geworden; eine Berufsbezeichnung scheint den Kotau vor einer rhetorischen Figur zu machen. Tatsächlich jedoch steht zu befürchten, dass der gegenwärtige Kapitalismus für deratige sprachliche Feinheiten nichts übrig hat, stattdessen die Forderung nach den „neuen Köpfen“ wörtlich meint. Für den Headhunter ist nicht der gesamte Mensch das Ziel, für den der Kopf – als Heimat des Hirns, der Sprache und vieler Sinnesorgane – prädestinierter Stellvertreter ist, sondern einzig bestimmte Fähigkeiten dieses Kopfes – die analytischen und rationalen.
Eine Positionierung gegen die Überführung dieser Metonymie in das Reich des Prosaischen findet sich in Bastian Günthers Film „Houston“. Der Headhunter Clemens Trunschka trifft sich mit Vertretern eines deutschen Automobilkonzerns. An ihn geht der Auftrag einen amerikanischen Manager aus der Öl-Branche abzuwerben. Während Trunschka die Details erläutert werden, verharrt die Kamera zunächst auf den Oberkörpern der Figuren: Wo die Jagd beginnt, die sich zu einer absurden Farce entwickeln wird, wo der Headhunter auf seine ‚Mission‘ geschickt wird, sind ausgerechnet die Köpfe nicht zu sehen. Nur das Antlitz des ‚Ziels‘ wird kurz auf dem Bildschirm eines Tablets gezeigt – gebannt in Bits und Bytes, gewissermaßen tot. Die Botschaft an die Akteure in der Wirtschaft ist folgende: Ihr seid an den Menschen doch überhaupt nicht interessiert! Ihr vergreift euch auch an der Sprache, schüttelt ihr noch jede Poesie aus den Kleidern! Ihr wollt ihre Möglichkeiten beschneiden, wollt sie unter eure Effizienz-Obsession zwingen! Ihr seht tatsächlich am Menschen vorbei, wollt eigentlich einen austauschbaren Roboter anstellen, der sich von der Humanitas abgewendet hat, der auch nicht enttäuscht ist, wenn sein Kopf bald nach der Einstellung bereits wieder rollen muss!
Gerade dadurch, dass Günther sie nur indirekt aufruft, wird die Metonymie (vom Kopf als Stellvertreter für den gesamten Menschen) von ihm in eine Art Schutzpark überführt. Das Zeigen des Kopfes und damit die Andeutung seiner metonymischen Bedeutung wäre angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftswelt nicht angemessen, weil es in ihr buchstäblich allein um den Kopf, nicht um den gesamten Menschen geht. Aus diesem Grund erfolgt der Bezug auf die Metonymie allein indirekt: Günther zeigt Körperteile, die nicht derart eng mit dem Menschsein verknüpft sind wie der Kopf. Es wird auf Beliebigkeit verwiesen, auf ein Arbeiterheer, dessen Glieder sich mindestens ähneln. Paradoxerweise schallt einem die Preisung der Einzigartigkeit des Menschen umso lauter entgegen, je energischer die Wirtschaft dessen Austauschbarkeit vorantreibt. Offiziell wird nach der gefestigten Persönlichkeit, nach dem herausragenden Lebenslauf gesucht, wo eigentlich doch nur Uniformität gefragt ist.
Letztlich ist es ein alter, zugleich reichlich abgetragener Hut, um den sich Günthers Film dreht: Es wird die Marx’sche Diagnose der Entfremdung – von der Arbeit als auch vom Menschsein – für das 21. Jahrhundert aktualisiert. Dass diese Diagnose gestellt wird, ist wichtig, weil sie gegenwärtig mehr Gültigkeit besitzt denn je. Dass sie einem nicht plakativ entgegen gebrüllt wird, sondern die filmischen Verfahren sie ausschwitzen, macht den alten Hut im neuen Gewand umso attraktiver.
Der Sinn der eigenen Arbeit wird ebenso wenig verstanden wie die Mitmenschen. Große Einsamkeit durchzieht den gesamten Film; die Kamera folgt Trunschka und Trunschka allein. Die Einsamkeit ist auch dann präsent, wenn er nicht für sich ist, etwa auf einer kleinen abendlichen Feier, die er mit seiner Frau besucht. Die Gäste stehen in Gruppen zusammen, Trunschka erzählt – angetrieben von reichlich Alkohol – mit lebendiger Gestik und der Zuschauer hört von dem Gesagten: nichts. Ihm bleibt der Blick durch eine vollverglaste Front auf ein seelenloses Wohnzimmer, in dem sich die Traurig-Erfolgreichen mit ihren geliehenen Gesichtern versammelt haben. Es ist ohnehin klar, was sie einander erzählen: von neuen Aufträgen, von den Kollegen, von den eigenen Ambitionen, von der letzten Geschäftsreise. Es ist anstrengend, ein bestimmtes Bild von der eigenen Person zu vermitteln, das sich aus dem Fundus von Eigenschaften zusammensetzt, von denen man meint, sie seien für das eigene Fortkommen vorteilhaft. Es ist wohl nur noch deprimierend, wenn man wie Trunschka auf die fünfzig zugeht und es kein Zurück mehr gibt aus dieser Welt. Trunschka reagiert auf sein Elend: Er betrinkt sich.
Am nächsten Morgen setzt sich die Einsamkeit in den eigenen vier Wänden fort. Trunschka wacht verkatert auf. Nicht sein Sohn fliegt auf ihn zu, nicht seine Frau begrüßt ihn mit einer Tasse Kaffee (sie ist noch sauer, dass sie wieder einmal eine breite Leiche nach Hause kutschieren musste), stattdessen kommt der Familienhund auf ihn zu. Trunschka setzt sich auf, streichelt den Hund, während sein Kopf abermals nicht im Bild ist. So wird auch an dieser Stelle die Metonymie – wiederum indirekt – aufgerufen: Es ist hier kein Einzelschicksal zu besichtigen, sondern ein Massenphänomen. Dem einsamen, vom Leben entfremdeten Menschen bleibt allein noch der stumme Vierbeiner als Trost. Trunschka wird von ihm bis in seine düstersten Stunden in Amerika begleitet – als imaginiertes Bild huscht der Hund durch das Hotelzimmer, begrüßt kurz sein Herrchen und verschwindet dann wieder.
Wie wenig der Mensch in diese Welt hineinpasst, wie absurd ein individuelles Schicksal mit Schwächen und persönlichen Niederlagen in dieser gewienerten Blase wirkt, wird deutlich, als Trunschka nach Houston reist. Er hat sein ‚Ziel‘, den amerikanischen Manager, in Deutschland nicht kontaktieren können, sodass die Reise über den Atlantik notwendig wird. Dort macht er an der Hotelbar die Bekanntschaft eines Amerikaners, dessen Transformation zum Arbeitsnomaden vollständig abgeschlossen ist. Angestellt als Qualitätsprüfer bei einer Hotelkette ist er dazu verdammt, jede Nacht in denselben scheußlichen Zimmern einzuschlafen, jeden Morgen mit demselben gekünstelten Lächeln beim Frühstück bedient zu werden, jeden Tag dieselbe nervtötende Musik in den Lobbys plärren zu hören – ganz egal, ob er sich gerade in Los Angeles, Detroit, Chicago, New York oder eben Houston befindet. Uniformität spannt sich hier nicht mehr nur über eine kleine Feiergesellschaft, sondern über einen riesigen Kontinent. Um sein Elend in dieser einförmigen Welt, die vom ‚wirklichen‘ Leben vollkommen abgelöst ist, noch zu unterstreichen, ist ihm ein Name gegeben, der auch als Sammelbezeichnung durchgehen würde: Robert Wagner.
Während Wagner menschlichen Kontakt sucht – auf sehr stereotypisch-amerikanische Weise mit viel „great“ und noch mehr „awesome“ sowie verfrühtem Buddy-Gehabe -, sieht Trunschka allein die Möglichkeit, über seine neue Bekanntschaft Zutritt zu den lokalen Zirkeln zu bekommen. Entsprechend entgeistert steht er Wagner gegenüber, als dieser ihm von seinem Privatleben erzählt: Seine Ehe ist an ihrem Ende angekommen, auf das im Übrigen auch die Trunschkas zusteuert, der Kontakt zu den Kindern ist nur noch spärlich. Anstandshalber stellt Trunschka ein paar Fragen, doch dann ist es mit dem Menscheln auch schon wieder vorbei. Es passt schlicht nicht hinein in diese Welt.
Das muss kurze Zeit später auch Trunschka selber erfahren. Als sich seine ‚Mission‘ immer mehr in ein Fiasko verwandelt, steht eine Videokonferenz mit seinem Auftraggeber an: Er solle doch bitte einen Zahn zulegen und endlich ein Treffen mit dem anvisierten Manager auf die Beine stellen. Trunschka lügt; er behauptet, ein Treffen für den kommenden Tag vereinbart zu haben. Da er – trotz dieses scheinbaren Erfolgs – vor der Webcam einen angezählten Eindruck macht, wird sich schließlich nach seinem Befinden erkundigt: „Wie geht es Ihnen Trunschka? Alles in Ordnung?“ Die Antwort bleibt im Verborgenen – der Zuschauer kennt sie, den Auftraggeber interessiert sie nicht. Die nächste Einstellung zeigt – zum wiederholten Mal – den Blick über Trunschkas Schulter; er sieht aus dem Fenster seines Hotelzimmers in die Tiefe; es geht einige Dutzend Stockwerke hinab. Hier ist ein Abgrund angezeigt, der sich irgendwann als Lösung anbieten könnte, ein Tiefpunkt, auf dem Trunschka noch nicht aufgeschlagen ist.
Wo nun ewige Finsternis in Gestalt eines verstümmelten Lebens im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts vermutet werden könnte, schafft Günther auch kleine Inseln für den einen oder anderen komischen Moment. So begleitet Wagner Trunschka mitunter bei dessen ‚Jagd‘ durch Houston. Bei einer dieser Fahrten schaltet Wagner den CD-Spieler des Autoradios ein. Es ertönt die beschwörende Stimme eines Erzählers, der eindringlich seine Botschaften vorträgt. Es handelt sich hierbei um eine Ratgeber-CD, auf der die Ammenmärchen des Kapitalismus versammelt sind. Die vorgetragenen Botschaften (eine Kostprobe: Der erste Schritt zum Erfolg besteht darin, sich den Erfolg vorzustellen. Oder: Nur wer viele Dinge besitzt, kann seine Seele voll entfalten.) erinnern an Gestalten wie Horatio Alger oder Russell Conwell, die mit ähnlichem Dünnsülz im Amerika des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu einigem Ruhm gekommen sind. Wagner, der kein Deutsch versteht, vermutet lachend, dass Trunschka Mitglied in einer Sekte sei. Und natürlich ist er das und zwar in genau derselben Sekte, in der auch Wagner Mitglied ist. Bei letzterem sind die Botschaften wohl noch weitaus tiefer verankert als bei Trunschka, schließlich sind die auf jene CD gepressten Lügen der DNA seines Heimatlandes eingeschrieben, verfolgen einen noch bis in den letzten Winkel des Landes.
So gibt es kein Entkommen – für Wagner nicht, der in seiner Hotelwelt gefangen ist („I’m stuck. I am stuck, man. This job sucks!“), und auch nicht für Trunschka, der schließlich von seiner ‚Mission‘ abberufen wird, sein Auftraggeber lässt ihn fallen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er die ultima ratio – die Erpressung des Managers mit Privatfotos, um doch noch einen Termin zu bekommen – allerdings bereits in die Wege geleitet. Er wird in eine Kleinstadt außerhalb von Houston bestellt, wo ein Schlägerkommando auf ihn wartet. Auf den ersten Blick mutet dieses Ende unpassend an, wirkt es doch so, als versuche Günther der polierten Welt auf den letzten Drücker noch einen morastigen Untergrund aus Gewalt beizugeben. Im Zusammenhang mit der den Film durchziehenden Metonymie macht dieser Ausgang jedoch durchaus Sinn: Mit seinem nun demolierten Gesicht erscheint Trunschka als Mensch, die Metonymie kann ihren Schutzpark wieder verlassen, der Kopf ist wieder Stellvertreter für den gesamten Menschen – wenn auch in diesem Fall nur für die elende Existenz des Clemens Trunschka.