Viele Menschen wollen sich im Anderen gespiegelt sehen; am nächsten ist ihnen, was Ähnlichkeit aufweist. Vermeintlich idyllisch geht es zu, wo einen Vertrautes umgibt, Veränderungen – wenn überhaupt – nur berechenbar eintreten. Das Fremde bricht in ein solches Idyll als Verunsicherung ein, es macht zementiert Geglaubtes porös. Deshalb hat bisher noch jede Idylle eine kaum passierbare Grenze umgeben – so auch die Idylle Europa, die als Zerrbild rechtskonservativer Politik heute lebendiger denn je ist. Weiterlesen
Eine Pharaonin aus der Uckermark
Die drängendste Frage der Gegenwart, die nach den Ursachen für den Aufstieg der Rechtspopulisten und Demagogen, der Lügner und Rassisten, kennt viele Antworten. Einige sind an dieser Stelle bereits versucht worden – die wachsende soziale Ungleichheit, eine Debatte in Extremen, Medien, die sich den Abstand zum Ereignis nicht mehr leisten (können oder wollen). Eine Antwort jedoch fehlt, taucht auch anderswo höchstens marginalisiert auf: Gemeint ist der Dämmerzustand, den etwas mehr als eine Dekade Merkel’scher Kanzlerschaft über die Demokratie in Deutschland gebracht hat. Weiterlesen
Zwischen Liebe und Vertrag japst die Solidarität
Wenn es um Flüchtlinge geht, beherrschen die Ausfransungen des Meinungsspektrums die Debatte. Unfähig zum Austausch stehen die Extreme einander gegenüber und vergiften mit ihrem Anspruch auf eine uneingeschränkte Deutungshoheit die Auseinandersetzung. Es werden absolute Bekenntnisse eingefordert: Offene Grenzen oder Zäune und Schlagbäume. Jeder Versuch der Differenzierung wird vom Zeitgeist des Absoluten weggebissen. Lehnt sich ein Argument auch nur sachte in die eine oder andere Richtung, so wird es vom Extrem vereinnahmt, sein Vertreter fortan mit diesem identifiziert. So geschieht es in den Parteien, so findet es dank bürgerlichen Nachahmungstriebs online seine Fortsetzung. Dem Wesen der Solidarität, die eine funktionierende Asylpolitik tragen muss, setzt eine Debatte in und mit Extremen zu. Ist sie, die Solidarität, doch in einem ‚Zwischen‘ angesiedelt, so erklärt es der Soziologe Karl Otto Hondrich – und zwar zwischen der Liebe und dem Vertrag. Weiterlesen
Patrioten aus Verzweiflung
„Ich glaube, die Liebe zu einem Land, auch der Patriotismus, ist unsere Antwort auf die Verzweiflung, an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit geboren worden zu sein“ (Bernward Vesper, Die Reise. Romanessay, Reinbek 1989, S. 34-35). Die Menschen verfallen der Vaterlandsliebe aus Verzweiflung über die Geburtslotterie und ihre Konsequenzen – gerne möchten sie jemand anderes sein, sich neu erfinden, einen Anfang ohne Vergangenheit setzen, doch der Herkunft ist nicht zu entkommen. Und weil dies so ist, verfallen sie irgendwann darauf, sich das eigene Schicksal zumindest mit wehenden Fahnen und Deutschlandlied zu versüßen. Weiterlesen
Auf dem (guten) Sonderweg
Das geschichtliche Fahrtenbuch der Deutschen weist Konformität gewiss nicht im Übermaß aus. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte man sich lieber ab von den Entwicklungen der europäischen Nachbarn. Der deutsche Sonderweg führte zumeist in eine Sackgasse; das Leid, das er im eigenen Land und in der Welt hinterließ, ist beispiellos. Momentan ist man wieder auf einsamen Pfaden unterwegs, diesmal jedoch ausnahmsweise im Positiven. Anders als in der Vergangenheit schlägt den Nachbarn keine Verachtung entgegen, sondern es wird der Appell vorgebracht, einen gemeinsamen Weg bei der Bewältigung der Flüchtlingskatastrophe einzuschlagen. Dieses Vorhaben wird außen- und innenpolitisch torpediert – der Sonderweg ins Unglück, einst eine deutsche Spezialität, droht schleichend zum europäischen Konsens zu werden. Weiterlesen
Alle Macht geht dem Volke aus – zur Krise der EU
Der kindliche, naive Blick auf die Welt übersieht Wesentliches. Er interessiert sich nicht für komplexe Details, möchte stattdessen Grundlegendes erkennen. So ist er vom Expertentum leicht angreifbar, von all den alten Herrschaften, denen es seit jeher die größte Freude bereitet, der Jugend ihre Unwissenheit vorzuhalten. Zugleich allerdings ist der naive Blick selber ungemein angriffslustig, weil er trotz – oder gerade wegen – seiner Abstraktionen mitunter klarer sieht als der streng analysierende Blick. Er kann entlarvend sein, der Finger kann in der aufgedeckten Wunde kindlich-fröhlich herumstochern. Im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise zeigt sich eine klaffende Wunde in Gestalt eines Demokratie-Defizits und zwar sowohl auf Seiten des griechischen Staates als auch im Hinblick auf die EU als Ganzes. Weiterlesen