Kleine Welten

Gewöhnlich werden Menschen an der Realität nüchtern; manchmal allerdings auch an der Fiktion, sofern diese sich auf die Realität versteht. David Simons Serie „The Wire“ tut dies; naturalistisch im Anspruch zeigt sie eine Vielzahl ihrer Figuren – Polizisten, Drogendealer, Hafenarbeiter, Lehrer, Politiker und Journalisten aus Baltimore – eingeschlossen in kleinen Welten. Die Funktionsweise dieser Welten ähneln einander, was erst in der von der Serie geleisteten Gesamtschau erkennbar wird: Nicht weniger als die Misere des postindustriellen Kapitalismus wird hier in einiger Breite dargestellt. Dieser Überblick ist die große Stärke von „The Wire“; zugleich macht er deutlich, was der Serie fehlt: Die Momente, in denen ein Blick über das Diagnostische hinaus gewagt wird, sind äußerst spärlich. Was zu machen sei mit all dem Elend, wie es überwunden werden könnte, ohne vorläufiges Stückwerk hervorzubringen, wird nicht gezeigt. Die zu ziehenden Konsequenzen sind dem Zuschauer überlassen; sie können wohl nicht radikal genug sein. Weiterlesen

Kreuzberg in der Karibik

„Zurück in Bismuna“, Dokumentarfilm von Uli Kick: Christian geht in Berlin auf den Strich, nächstes Geld nächster Schuss, fünf-, sechsmal am Tag – der Rhythmus eines Heroinabhängigen. Ende der 90er Jahre: Christian ist in Bismuna, im Dschungel Nicaraguas, ein deutsches Sozialprojekt für in der Heimat aufgegebene Jugendliche. Nichts als Arbeit, Holz hacken, Wasser schleppen, alles auf Ursprung, alles in Ordnung so weit – der Rhythmus eines Indios, zumindest näherungsweise. Zurück in Deutschland: aus dem Flieger in den Zug, so war der Plan; der Zug ist weg, Zeit ist da, Geld auch: nächstes Geld nächster Schuss, so schnell geht das. Freunde hast du nicht, in dieser Szene denkt jeder nur an sich, sagt Christian. Weiterlesen