Dem Werbesprech einer Ankündigung auf SPIEGEL Online entgleitet ein wenig die Realität: Es geht um die Berichterstattung zur Präsidentschaftswahl in den USA und man versteigt sich tatsächlich zur Aussage, dieses gedehnte Elend sei der spannendste Wahlkampf seit Al Gore gegen George W. Bush. Viele Adjektive hätten gepasst – abstoßend, niederträchtig, niveaulos – „spannend“ (dazu noch im Superlativ) trifft die Wirklichkeit, wenn überhaupt, nur am Rande. Weiterlesen
Schafft die zweite Klasse ab!
Es gibt den reichlich abgewetzten Lenin-Satz, mit den Deutschen sei keine Revolution zu machen, denn bei Stürmung des Bahnhofs würden diese sich noch schnell eine Bahnsteigkarte kaufen. Als wolle er diese Halbherzigkeit seiner Landsleute bestätigen, fängt SPIEGEL-Redakteur Bernd Kramer seine „Rebellion“ (tatsächlich ist es mehr ein Rebelliönchen) damit an, in der ersten Klasse der Deutschen Bahn die Zeitungen zu stibitzen. Weiterlesen
Zauberrituale im Strafrecht – Über die Reform des § 177
Fußballspiele mit deutscher Beteiligung bei Welt- und Europameisterschaften sind wohl die letzten großen Straßenfeger hierzulande. Entsprechend viele Menschen dürften auch den Nachrichten in der Halbzeitpause folgen. Umso verheerender, wenn diese mit einer Fehlinformation eingeleitet werden. So geschehen im Heute-Journal, das am Donnerstag vergangener Woche während der Partie Deutschland-Frankreich ausgestrahlt wurde. Einen Bericht über die Reform des Sexualstrafrechts moderierte Marietta Slomka mit folgenden Sätzen an: „Künftig gilt: Nein heißt nein. Auch wenn das Opfer sich aus Angst nicht wehrt, die Tat geschehen lässt, bleibt es eine Vergewaltigung.“ Dass die beschriebenen Umstände auch mit dem alten Gesetz als Vergewaltigung abgeurteilt werden konnten, ist Moderatorin und Redaktion wohl entgangen. Was im Bundestag, der die Reform einstimmig auf den Weg brachte, als historischer Schritt begangen wurde, ist keiner. Entgegen dem griffigen Slogan („Nein heißt nein“) ist nicht für mehr, sondern für weniger Klarheit gesorgt worden. Weiterlesen
Konsumentenansprache in der Werbung – gestern und heute
„Ich will nicht die Schrotflinte. Ich will den Sniper“ – kein General spricht hier über seine Truppen, sondern der Unternehmer Samy Liechti über Werbemöglichkeiten in Zeiten von Big Data. Das Martialische der Wortwahl kommt nicht von ungefähr: Der Kunde ist nicht zuerst König, sondern der gesättigte Feind des Wirtschaftswachstums, dem Dinge angedreht werden müssen, die er eigentlich nicht benötigt. Stets muss er im Visier gehalten werden, sodass im richtigen Moment zum zielgenauen Abschuss angesetzt werden kann. Dies ist Aufgabe der Werbung, die in der neuen Datenfülle ihr Himmelreich entdeckt hat. Noch ist sie kaum durch dessen Pforten getreten, da ist die grundsätzliche Entwicklung bereits absehbar: Die kollektive Konsumentenansprache weicht der individuellen. Weiterlesen
Die Kamele sind tot – Staatswerdung im Orient
Wenn gegenwärtig im Nahen Osten, in Vorder- und Zentralasien Krieg und Terror den Alltag beherrschen, die Menschen deshalb flüchten müssen, wird eine wesentliche historische Ursache allenfalls am Rande erwähnt: Als die europäischen Staaten ihre kolonialen Abenteuer beendeten (oder beenden mussten), versündigten sie sich ein letztes Mal an ihren Untergebenen, indem sie willkürlich Staatsgrenzen festlegten – Grenzen, um die die Einheimischen nicht gebeten hatten, die auf Familien- und Stammesverbände keine Rücksicht nahmen, die letztlich einzig in die Welt der abziehenden Kolonialherren passten. Was offiziell als Unabhängigkeit daherkam, war mit einem Ballast beschwert, der eine gesamte Weltregion ins Verderben reißen sollte. Weiterlesen
Eine Jüdin aus Heidelberg
„Wenn sich jetzt so viele herauslügen, sie haben nichts gewußt, so gibt es doch ohne Zweifel Menschen, die es eigentlich nicht gewußt, aber dunkel geahnt haben: da geschieht etwas Schreckliches. Ich denke an eine greise, 80 jährige Jüdin in Heidelberg, die deportiert werden sollte und noch einige Tage Zeit hatte bis zu dem Termin des Abtransports, sie nahm sich das Leben. Da kam der Gestapo-Mann, der alle Tage kam, und wie er sah, sie ist tot, trat er ans Fenster mit wirklicher Ergriffenheit und sagte: Das haben wir doch nicht gewollt.“ (Augstein, Rudolf, „Für Völkermord gibt es keine Verjährung“ – SPIEGEL-Gespräch mit dem Philosophen Karl Jaspers, in: Der SPIEGEL, 11 (1965), S. 64.) Weiterlesen
Herr Niersbach führt Selbstgespräche
Im Profisport – in den Vereinen als auch in den Verbänden – ist es (Un)Sitte geworden über eine hauseigene Berichterstattung zu verfügen. Die Verschmelzung von demjenigen, der berichtet, und demjenigen, über den berichtet wird, mag noch vernachlässigbar sein, wenn die angestellten ‚Journalisten‘ den Neuerwerbungen des Klubs die immer gleichen Fragen stellen oder exklusiv vom Trainingsgelände berichten können, dass sich Spieler XY beim Nachmittagstraining verkühlt hat. Problematisch wird der Journalist, der keiner ist (weil ihm die Unabhängigkeit abgeht) in dem Moment, da es um schwere Anschuldigungen geht, um all die Themen, die der Sportberichterstattung längst zum dauerhaften Begleiter geworden sind – um schwarze Kassen, Korruption und Bestechungen. Weiterlesen
Videos von der Stange
Das Internet konfrontiert Künstler mit einer Erwartungshaltung ihres Publikums an die Produktivität, mit der die Kreativität nicht Schritt halten kann. Das Internet neigt zur Überdrehung und erstickt auf diese Weise das Neue, das wirklich Innovative. Ein Beispiel: Weiterlesen